Dies ist ein Artikel aus der Isaac`s Zeitung 1 / 1994! ACHTUNG! Inhalt ist historisch, alle Angaben entsprechen dem Stand von 1994!

"Hau ab, Du Idiot!"

- Kommunikationsstörungen bei Kommunikationshilfen -

Bei meiner Arbeit mit Kindern, die nicht über Lautsprache kommunizieren, sondern ein elektronisches oder technisches Hilfsmittel benutzen, stoße ich oft auf Probleme, über die ich mich auch in Gesprächen mit anderen Kollegen und Kolleginnen unterhalte. Es sind immer nur kleine "Problemchen", die auftauchen, die aber für kommunikationsbehinderte Menschen das Gespräch zum Erliegen bringen und uns an unserer Arbeit zweifeln lassen. Manchmal sind es gerade die besonders guten Einfälle, die wir in die Arbeit einbringen, die einen entgegengesetzten Effekt hervorrufen! Dann ist es schwer, einen Irrweg wieder zu verlassen. Diese Erfahrung kennen wohl alle von uns.

In der ISAAC-Zeitschrift wurden schon viele sehr gute Anregungen oder Lösungsvorschläge zu diesem Thema beschrieben, die mit diesem Artikel natürlich nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden sollen. Besonders hinweisen möchte aber ich auf einen Artikel von Ursi Kristen: "Die Liebeserklärung von Feld 1 bis 6", zuerst erschienen in "zusammen", Heft 10/92, der die persönliche Bedeutung der Kommunikationshilfe darstellt. Ich bin sehr auf eine Fortsetzung der dort beschriebenen "Romanze" gespannt!

Ich möchte folgende Punkte als Erfahrungswerte zur Diskussion stellen:

1. Auf der Symboltafel bzw. den Symbolfeldern der Kommunikationshilfe sind zu viele Symbole. Das Kind fängt vor lauter Überforderung garnicht erst an, zu arbeiten. Auch kann eine Codierung von Symbolen, z.B. Bliss-Symbole nach Nummern oder nach Koordinaten (wie beim Schachbrett) sortiert, einen zusätzlichen Störfaktor einführen und nicht erleichternd sein.

2. Auf der gleichen Tafel können für ein anderes Kind zu wenig Symbole sein! Es sieht den Sinn der Anstrengung nicht ein und fängt aus Unterforderung auch nicht an, zu arbeiten.

3. Die nichtbehinderten Personen warten nicht lange genug auf die Beendigung der Bedienung der Kommunikationshilfe. Oft muß das Kind selber erst nachdenken, oder es weiß nicht, welches Zeichen zutrifft. Ein Symbol dafür sollte angeboten werden. Eine Antwort kann auch falsch sein! Der Irrtum kann das gesamte weitere Gespräch völlig vom Weg abbringen, da man sich beim Nachfragen am falschen Wort orientiert. Auch kann die Antwort genau zwischen zwei vorhandenen Symbolen liegen.

4. Die gewählten Symbole gehen völlig am Lebensinhalt des Kindes vorbei. Beispiel: religiöse Symbole in der Löb-Bildersammlung an Stelle von persönlichen, kindgerechten Ausdrücken oder Gefühlen. Eine Beschränkung auf eine einzige Symbolsprache halte ich nicht für sinnvoll, man sollte die guten Eigenschaften aller Sprachen ausnutzen. Siehe auch Ursi Kristen: "Die Krönung ist Bliss!" ISAAC Heft Nr.7, 1993. Der Titel des Artikels ist natürlich nicht Ursis Meinung! Selbstverständlich erscheint mir, daß der Therapeut/Pädagoge regelmäßig Anregungen für neue Symbole in der Umgebung des Kindes sucht.

5. Die Symbole sind nicht deutlich genug zu unterscheiden. Sie sind sehr ähnlich oder zu klein geraten für eine klare Differenzierung. Farbige Unterscheidungen können helfen. Die Symbole sollten auch immer an der gleichen Stelle erscheinen. Auf einem ISAAC-Treffen in Bremen stellte ein Lehrer eine selbstentworfene, durchsichtige Symboltafel vor. Er hielt sie (im Video) mal vor sein Gesicht, mal neben seinen Kopf, mal stand sie auf dem Tisch, dann hing sie an der Wand und in allen Redepausen stellte er sie auf dem Fußboden ab. Besser wäre es, die therapeutischen Fachbereiche (hier: Ergotherapie und Krankengymnastik) zu beteiligen und eine bessere Lösung für Lagerung und Positionierung zu finden.

6. Die Symbolsprache ist zu amerikanisch ausgerichtet. Beispiel: Minspeak enthält viele ausschließlich amerikanische Bilder, die einem mitteleuropäischen Kind nichts sagen. Es ist besser, vielleicht künstlerisch mangelhaft gezeichnete, aber mit dem Kind zusammen entwickelte Bilder zu benutzen.

7. Für das Kind sind möglicherweise die Folgen der Benutzung einer Kommunikationshilfe nicht angenehm. Ganz entgegen unserer pädagogischen Planung sieht das Kind z.B. mehr ungeliebte Hausaufgaben auf sich zukommen! Es wünscht sich gerade nicht die durch die Hilfe ermöglichte Einzelarbeit und befürchtet weniger Zuwendung als bei direkter Kommunikation mit Personen.

8. Es ist zuwenig Spaß im Spiel. Das Kind soll nach dem Wunschdenken Erwachsener "anständig" sprechen und sinnvoll arbeiten. Jedes Kind hat aber riesigen Spaß an völlig unsinnigen Tastenbelegungen und Quatsch-Symbolen! Ich bespielte z.B. eine Taste des Introtalkers mit einer Tuba, so das sie als Nebelhorn oder um andere Kinder und Erwachsene zu ärgern eingesetzt werden kann. Ein anderer Introtalker bekam eine Taste mit unverständlichem Gemurmel, da das Kind über das ständige "Was hat er gesagt? Hab' ich nicht verstanden..." genervt war.

9. Als Pädagoge muß man mit vielen Rückschlägen rechnen. Leider kommen die dümmsten Reaktionen von anderen Erwachsenen, die es eigentlich besser wissen sollten. Wenn ein Kind sich vierzehn Jahre lang überhaupt nicht bemerkbar machen konnte und dann mit einem Introtalker seine Wünsche zum ersten Mal selber äußern kann, freue ich mich besonders über Bemerkungen wie "Das kann man ja gar nicht verstehen, klingt so undeutlich..." oder "Eigentlich bräuchte er doch was ganz Anderes...". Jede erreichte Verbesserung wird sofort kritisiert, als ob sie schon lange selbstverständlich sei!

10. Das Kind ist offener und ehrlicher als die Erwachsenen, die die Kommunikationshilfe anschaffen und besprechen. Es will echte Schimpfworte (siehe Überschrift) oder Liebeserklärungen abrufen können, nicht nur freundliche Bitten. Wenn es fluchen will, müssen aus dem Sprachcomputer die Wörter herauskommen, mit denen die Eltern, Betreuer, Freunde usw. auch fluchen! Vielleicht sogar noch "bessere"...

Komischerweise passt eine solche Aussage wie in der Überschrift nicht in unser fürsorgliches Erziehungskonzept, wir stellen sie dem Sprachbehinderten nicht automatisch zur Verfügung, obwohl wir sie selbstverständlich benutzen, wenn wir uns aufregen!

Abschließend möchte ich trotz aller Kritik oder möglichen Probleme Kommunikationshilfen wie z.B. den IntroTalker für unseren Arbeitsbereich sehr empfehlen und alle Kollegen/-innen ermutigen, ein solches Gerät einmal auszuprobieren! Ich bin immer wieder davon begeistert!

Ich hoffe, ein paar Gedanken angeregt zu haben und freue mich über Rückmeldungen oder eine weitere Diskussion an dieser Stelle!

Anschrift des Autors:
Arvid R. Spiekermann
Oldenburger Str. 19
24143 Kiel
Tel. 0431/ 7 55 88

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